In USA droht das Ende der Netzneutralität

Dies wäre auch eine weitere Schwächung des Datenschutzes im Web. Bisher war es US-Netzbetreibern untersagt, bestimmte Dienste zu bevorzugen oder Datenpakete auszubremsen bzw. zu blockieren. Das könnte sich bald ändern.

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Björn GreifRedakteur

Nach dem Prinzip der Netzneutralität muss der Datenverkehr im Internet neutral geregelt sein. Es schließt bezahlte Überholspuren aus, über die bestimmte Datenpakete schneller weitergeleitet werden. Ebenso wenig dürfen Netzbetreiber andere Datenpakete – etwa von Wettbewerbern – künstlich ausbremsen oder blockieren. Was in der Diskussion oft zu kurz kommt sind die Auswirkungen auf den Datenschutz. Um bestimmte Datenpakete je nach Inhalt bevorzugt behandeln zu können, müssten Provider diese erst durchleuchten. Die dafür notwendige Technik namens Deep Packet Inspection ermöglicht das Abhören sowie Sammeln von Informationen und theoretisch auch den Aufbau einer Zensurinfrastruktur im Internet.

FCC Chairman Ajit Pai (Bild: FCC)
FCC Chairman Ajit Pai (Bild: FCC)

In den USA steht die Netzneutralität, wie sie 2015 unter der Regierung Obama durch strenge Regeln zum Erhalt eines offenen Webs gefestigt wurde, nun vor dem baldigen Aus. Der republikanische Vorsitzende der Aufsichtsbehörde Federal Communications Commission (FCC), Ajit Pai, hat am Mittwoch angekündigt, die bisherige Regelung aufheben zu wollen. Sie setzt Internet Service Provider (ISP) wie AT&T, Comcast oder Verizon mit öffentlichen Versorgern gleich, die strenger reguliert werden als Internetkonzerne wie Google oder Facebook. Dies ebnete auch den Weg für strengere Regulierungsvorschriften für ISP wie denen zum Online-Datenschutz, die jedoch Mitte März noch vor dem Inkrafttreten durch den Kongress und Präsident Trump aufgehoben wurden. Seitdem dürfen US-Provider Daten über sämtliche Online-Aktivitäten ihrer Kunden ohne deren Einwilligung an den Höchstbietenden verkaufen.

„Vor zwei Jahren habe ich bereits davor gewarnt, dass wir einen schwerwiegenden Fehler machen“, sagte FCC-Chef Pai in seiner Rede im Newseum in Washington. „Das ist einfache Ökonomie. Je strenger du etwas regulierst, desto weniger kommt dabei wahrscheinlich heraus.“ Deshalb plane er, die bisherige Klassifizierung der ISP als öffentliche Versorger rückgängig zu machen. Grundsätzlich unterstütze er zwar die Idee der Netzneutralität, die bisherige Regulierung gehe aber zu weit und sei nicht nötig zum Erhalt eines offenen Internets.

Netzbetreiber frohlocken, Verbraucherschützer warnen

Die geplante Aufweichung der Netzneutralität wird in den USA sicherlich erneut für hitzige Diskussionen sorgen. Die ISP selbst sind natürlich für eine laxere Regulierung. Nach aktueller US-Rechtslage dürfen sie keine legalen Webinhalte bevorzugen oder durch Sperren bzw. Drosselung benachteiligen. Nun aber können sie auf zusätzliche Einnahmequellen durch neue Premium-Geschäftsmodelle hoffen. Wer zahlt, dessen Datenpakete werden schneller übertragen. Die Netzneutralität sei ein Hemmnis für Innovationen und Investitionen in den Netzausbau, so ihr Argument.

Verbraucherschützer widersprechen dem und äußern Bedenken, dass die Netzanbieter ihre Position als Torwächter zum Internet ausnutzen und künftig kontrollieren könnten, welche Webinhalte Nutzer zu welchem Preis zu sehen bekommen. „Verbraucher wären der Gnade der Telefon- und Kabelgesellschaften ausgeliefert“, kommentierte Craig Aaron, Präsident der Verbraucherschutzgruppe Free Press.

Auch in der Web-Wirtschaft regt sich Widerstand. In einem offenen Brief von rund 800 Start-ups an FCC-Chef Pai heißt es: „Ohne Netzneutralität wären diejenigen, die den Zugang zum Internet bereitstellen, in der Lage, die Gewinner und Verlierer im Markt zu bestimmen.“ Die Internet Association, welche die Interessen von Internetkonzernen wie Google, Facebook oder Netflix vertritt, spricht sich ebenfalls für die Beibehaltung des aktuellen FCC-Regelwerks zur Netzneutralität aus. Andernfalls seien ein „schlechteres Internet für Verbraucher“ und „weniger Online-Innovationen“ zu erwarten.

Netzneutralität als Grundvoraussetzung für ein offenes Web

Verbraucherschutzverbände und Internetunternehmen haben bereits durchblicken lassen, notfalls auch vor Gericht zu ziehen, um die Aufhebung der bisherigen FCC-Regeln zur Netzneutralität zu verhindern. Pais Plan wird also noch einige Hürden nehmen müssen. Eine am Donnerstag veröffentlichte Mitteilung der FCC mit dem Titel „Restoring Internet Freedom“ („Internetfreiheit wiederherstellen“) lässt viele Fragen hinsichtlich der künftigen Regulierung offen. Aufgrund einer 2:1-Stimmmehrheit für die Republikaner in der Kommission – einschließlich Pai selbst – ist jedoch davon auszugehen, dass sein Vorschlag durchkommt. Die Abstimmung wird am 18. Mai stattfinden. Befürworter wie Gegner sollen sich zu den Plänen äußern und eigene Vorschläge unterbreiten können, wie sich die Grundprinzipien der Netzneutralität ohne gesetzlichen Zwang durchsetzen lassen.

Update vom 19. Mai: Wie erwartet hat die Kommission mit 2:1 für Pais Vorschlag gestimmt. Bis Mitte August kann jedermann einen Kommentar zu den Plänen abgeben. Es laufen bereits einige Online-Petitionen (etwa von Mozilla), die sich für den Erhalt der Netzneutralität aussprechen.

Für Cliqz-Geschäftsführer Marc Al-Hames ist die Netzneutralität Grundvoraussetzung für ein offenes Internet, für das Cliqz kämpft: „Alles andere würde das Web, wie wir es heute kennen, zerstören.“

In Europa ist die Netzneutralität seit Herbst 2015 durch eine EU-Verordnung geregelt. Sie schreibt beispielsweise vor, dass die Regelung des Datenverkehrs „nicht auf kommerziellen Erwägungen“ beruhen darf. Zudem sind Techniken „zur Überwachung spezifischer Inhalte“ verboten. Eingriffe bei Engpässen im Netz sind allerdings erlaubt. Bürgerrechtsorganisationen und Internetfirmen kritisierten wiederholt, dass die Verordnung zu schwammig formuliert sei und daher Hintertüren zur Umgehung der Netzneutralität offenlasse. Ende August 2016 veröffentlichte das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC) daher Leitlinien zur Netzneutralität, welche die Vorschriften der EU-Verordnung konkretisieren.